22.April
Indoeuropäische Sprache: Archäologen widerlegen langen Mythos
Hamburger Abendblatt, 10.04.2025, von Riko Wetendorf, Freier Mitarbeiter
Sprachentwicklung:
Indoeuropäische Sprache: Archäologen widerlegen gängige Theorie
Forscher untersuchten nun, welche Migrationswellen vor Tausenden von Jahren zur Entwicklung der indoeuropäischen Sprache führten.
Hamburg. Schon seit geraumer Zeit beschäftigt die Forschung der Ursprung der bedeutsamen Sprachfamilie. Dieses Rätsel ist endgültig gelöst.
Ein Forschungsteam von der Harvard University konnte durch genetische Analysen neue Erkenntnisse zur Herkunft der indoeuropäischen Sprache gewinnen. Eine Schlüsselrolle nimmt dabei die Jamanja-Kultur, deren Herkunft in diesem Zusammenhang von den Wissenschaftlern vollständig geklärt werden konnte.
Die indoeuropäische Sprachfamilie umfasst über 400 Sprachen und wird von nahezu der Hälfte der Weltbevölkerung gesprochen. Archäologische und genetische Befunde deuten darauf hin, dass die Reiternomaden der Jamnaja-Kultur eine frühe Form der indoeuropäischen Sprache nach Europa brachten.
Die Herkunft der indoeuropäischen Sprache ist Gegenstand wissenschaftlicher Debatten, wobei zwei Haupttheorien vertreten werden. Die Steppen-Hypothese lokalisiert ihren Ursprung vor etwa 6500 Jahren in Zentralasien, während die Ackerbau-Hypothese eine Entstehung vor rund 8000 Jahren bei den Bauern Anatoliens annimmt.
Um diese wissenschaftliche Kontroverse zu klären, analysierte ein Forschungsteam um Iosif Lazaridis von der Harvard University DNA-Proben von 435 Individuen, die zwischen 6400 und 2000 v. Chr. in der pontisch-kaspischen Steppe lebten. Ihre Ergebnisse publizierten sie Anfang Februar in der Fachzeitschrift „Nature“. Ergänzend zur genetischen Untersuchung wurden auch archäologische Faktoren berücksichtigt, darunter die Lage der Bestatteten, Grabbeigaben sowie die Gestaltung der Gräber.
Jamnaja-Kultur untersucht: Begründer der indoeuropäischen Sprache identifiziert
Die Analyseergebnisse der Wissenschaftler legen nahe, dass die Jamnaja-Kultur nicht, wie bisher angenommen, aus zwei, sondern aus drei unterschiedlichen Vorfahrenlinien hervorging. Während die Forschung bislang nur die Bevölkerungsgruppen an der Wolga und am Dnipro kannte, identifizierten die Wissenschaftler eine weitere Gruppe, die vor etwa 6400 bis 6000 Jahren in der Steppe zwischen dem Kaukasus und der unteren Wolga lebte.
Aus dieser Bevölkerungsgruppe gingen die Vorfahren der Jamnaja-Kultur hervor, die als Träger der frühen indoeuropäischen Sprache gelten. Zudem weisen die Ergebnisse darauf hin, dass sich Individuen dieser Kaukasus-Wolga-Linie auch in südliche Regionen bewegten. Dies erklärt den genetischen Steppenanteil bei Menschen aus dem kupfersteinzeitlichen Armenien. Die Forscherinnen und Forscher vermuten, dass über diese Migration genetische und sprachliche Einflüsse bis nach Anatolien gelangten.
Diese Hypothese wird durch eine unabhängige Studie eines Forschungsteams um Alexey Nikitin von der Grand Valley State University in Michigan unterstützt, das ebenfalls die Herkunft der Jamnaja-Kultur untersucht hat. Den Forschern zufolge erfolgte die Ausbreitung der Jamnaja und ihrer Vorfahren in drei zeitlich gestaffelten Migrationswellen innerhalb Eurasiens. Dabei unterlagen die ursprünglichen indoeuropäischen Spracheinflüsse einer Anpassung an die sprachlichen und kulturellen Prägungen der lokalen bäuerlichen Bevölkerung.
Forscher klären auf: Gemeinsame sprachliche Wurzeln führen zu neuen Begrifflichkeiten
Die Forscher konnten somit nicht nur den Ursprung der Jamnaja-Kultur umfassend rekonstruieren. Stattdessen wurde nachgewiesen, dass das Indoeuropäische und das Hethitisch-Anatolische nicht unabhängig voneinander entstanden, sondern auf gemeinsame sprachliche Wurzeln zurückzuführen sind. In diesem Zusammenhang führten sie den Begriff Indo-Anatolisch als neue terminologische Klassifikation ein.
Allerdings kam es vor etwa 6500 bis 6300 Jahren zu einer Aufspaltung der indo-anatolischen Sprache. Diese Trennung vollzog sich sowohl vor der Entstehung des Hethitischen als auch vor der Expansion der Jamnaja-Kultur. Nach Ansicht der Wissenschaftler erklärt diese frühe Abweichung, warum sich das Hethitisch-Anatolische sprachlich deutlich von den übrigen indoeuropäischen Sprachen unterscheidet.
19.April
Gentest „Spannend für die Ahnenforschung – aber nicht ohne Risiko“
Stiftung Warentest, 16.04.2025, Text von Eugénie Zobel-Varga
Interview mit dem Genforscher Harald Ringbauer, der am Max-Planck-Institut Leipzig arbeitet, sein Schwerpunkt ist die Populationsgenetik. © Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Immer mehr Menschen unterziehen sich freiwillig Gentests. Welche Chancen und Risiken das birgt, besprachen wir mit dem Genforscher Harald Ringbauer.
Was ist Populationsgenetik und was hat sie mit Ahnenforschung zu tun?
In der Populationsgenetik geht es uns darum, wie unter anderem Menschen genetisch verwandt sind und wie sich Gene über Generationen verändern. Dazu nutzen wir mathematische Modelle und große Datenmengen, die wir mit speziellen Computerprogrammen auswerten. Für die Ahnenforschung heißt das: Verwandtschaft lässt sich allein über die DNA erkennen – und Genetik verrät auch, aus welchen Regionen die Vorfahren stammen.
Wie aussagekräftig sind kommerzielle DNA-Tests für die Ahnenforschung?
Solche Tests helfen, entfernte Verwandte zu finden – vorausgesetzt, diese haben denselben Test gemacht. Oft lässt sich die gemeinsame Linie entdecken und Wissen austauschen. Das klappt meist bis zur Ebene der Cousins dritten Grades. Weiter entfernt wird es schwieriger, weil es kaum oder gar keine gemeinsame DNA gibt.
Außerdem geben die Tests eine grobe Einschätzung der geografischen Herkunft. Für die Ahnenforschung ist das oft nicht genau genug, aber spannend, wenn es zu bekannten Familiengeschichten passt.
Warum stimmen DNA-Ergebnisse manchmal nicht mit Familiengeschichten überein?
Viele staunen, wenn ihr DNA-Ergebnis nicht zur Familiengeschichte passt. Das liegt oft daran, dass bei sehr entfernten Verwandten – ab etwa dem dritten Cousin – keine gemeinsame DNA mehr messbar ist. Obwohl eine Verbindung im Stammbaum besteht, zeigt der Test dann: nicht verwandt. Manchmal bringt ein Test aber auch echte Überraschungen ans Licht – etwa einen unbekannten Vater.
Solche Fälle sind selten (unter zwei Prozent), kommen aber durch die Masse an Tests trotzdem regelmäßig vor. Oft reicht schon ein entfernter Verwandter in der Datenbank, um solche Geschichten ins Rollen zu bringen.
Wie werden DNA-Analysen in der Ahnenforschung genutzt?
Früher konzentrierten sich solche Tests auf die sogenannten uniparentalen Haplogruppen: Das Y-Chromosom wird vom Vater an die Söhne weitergegeben und die mitochondriale DNA von der Mutter an alle Kinder. Damit ließ sich die rein männliche oder weibliche Linie verfolgen – aber nur dieser eine Familienzweig.
Heute analysieren die meisten Anbieter die autosomale DNA. Sie stammt von beiden Eltern und umfasst alle Linien des Stammbaums. So lassen sich Verwandte über verschiedene Äste finden – oft bis zu Cousins zweiten oder dritten Grades, wenn die auch den Test gemacht haben.
Wie genau zeigen DNA-Tests, woher man kommt?
DNA-Tests können ziemlich gut zeigen, aus welcher Weltregion jemand stammt – etwa Nordeuropa oder Westafrika. Schwieriger wird es aber, wenn es um feinere Unterschiede innerhalb Europas geht. Je kleiner die Region, desto ähnlicher sind sich die Gene. Dann hängt viel davon ab, welche Vergleichsdaten der Anbieter nutzt und wie genau der Algorithmus arbeitet.
Deshalb kann es passieren, dass zwei Tests unterschiedliche Ergebnisse liefern – auch wenn die DNA dieselbe ist. Diese Unsicherheiten werden in den hübschen Herkunftskarten oft nicht deutlich gemacht.
Kann man frühere Wanderungen oder historische Ereignisse noch in der DNA erkennen?
Ja, ein Stück weit schon. Unsere Gene tragen Spuren davon, wo unsere Vorfahren einst gelebt haben und wohin sie gewandert sind.
Genetische Forschung zeigt: Völkervermischung war schon immer normal. Keine Gruppe ist genetisch „rein“ oder unverändert geblieben. Im Gegenteil: Menschliche Geschichte ist eine Geschichte des ständigen Austauschs und der Bewegung. Und genau das spiegelt sich auch heute noch in unserem Erbgut wider.
Was darf man von so einem DNA-Test also erwarten?
Viele Menschen haben falsche Vorstellungen davon, was DNA-Tests leisten können. Die Werbung der Anbieter klingt oft beeindruckend, ist aber nicht immer realistisch. Tatsächlich lassen sich mit solchen Tests einige Dinge gut herausfinden, zum Beispiel die grobe geografische Herkunft der Vorfahren oder ob jemand ein entfernter Verwandter ist.
Aber wenn es um komplizierte Themen geht, wie den Einfluss der Gene auf Persönlichkeit oder Krankheitsrisiken, wird es schnell ungenau. Diese Zusammenhänge sind sehr komplex und von vielen Faktoren abhängig, auch vom Zufall. Deshalb sollte man die Ergebnisse nicht überbewerten.
Sehen Sie ethische Probleme, wenn jemand im Wege der Ahnenforschung DNA-Tests macht?
Ja, auf jeden Fall. Ein DNA-Test betrifft nicht nur die eigene Person, sondern gibt auch Hinweise über nahe Verwandte – oft ohne deren Wissen oder Zustimmung. Das macht die Entscheidung für so einen Test ethisch schwierig. Deshalb ist es sinnvoll, solche Tests, wenn überhaupt, unter einem Pseudonym zu machen.
Wie steht es um den Datenschutz bei DNA-Tests?
Kein System ist völlig sicher, vor allem, wenn Nutzer online auf ihre Daten zugreifen können. Es gab schon Fälle, bei denen Hacker Daten gestohlen haben, etwa beim Anbieter 23andMe. Ein weiteres Problem: Was passiert mit den DNA-Daten, wenn eine Firma pleitegeht oder verkauft wird? Wer hat dann Zugriff auf die Daten und was passiert in Zukunft damit?
Es gibt weitere Risiken: Strafverfolgungsbehörden können über Gerichtsbeschlüsse auf die Daten zugreifen. Gerade in den USA wurden so schon über Verwandte in DNA-Datenbanken Täter gefunden, vermutlich öfter, als bekannt wurde. Außerdem sind die gesammelten Daten für die Forschung interessant, besonders zusammen mit Angaben zur Gesundheit. Das eigentliche Geschäftsmodell der Anbieter sind oft genau diese Daten, die sie an Pharmafirmen weitergeben.
13.April
Ursprung im Mittelalter: Wie sind Nachnamen entstanden?
Von Lydia Wolter, NTV Online 12.04.2025,
"Hunderttausende von Familiennamen gehen auf Berufe zurück, auch die häufigsten Namen wie Müller und Schmidt gehören dazu", erklärt Professor Jürgen Udolph.
Nachnamen sind mehr als nur Zuordnungen: Sie sind Zeitzeugen der deutschen Geschichte. ntv.de hat mit einem Experten für Namensforschung gesprochen, der erklärt, wie unsere Nachnamen vor über 1000 Jahren entstanden sind und was sie bedeuten.
In Deutschland gibt es circa 850.000 verschiedene Nachnamen. Die Liste der häufigsten Familiennamen führen Müller, Schmidt und Schneider an. Unser Nachname begleitet uns von klein auf, oft ein Leben lang und ist zentraler Bestandteil unserer Identität. Doch wie sind sie eigentlich entstanden?
Einer, der sich mit dieser Frage schon seit über 50 Jahren beschäftigt, ist Jürgen Udolph, ehemaliger Professor an Deutschlands einzigem Lehrstuhl für Namensforschung in Leipzig. "Unsere Nachnamen sind vor etwa 1000 Jahren entstanden, weil die Bevölkerung immer weiter zugenommen hat", so Udolph. Vornamen allein hätten nicht mehr ausgereicht, um Menschen zu unterscheiden. "Es brauchte Zusätze, um Walter den Schmied, Walter den Bauern und Walter den Lahmen zu unterscheiden", so der Experte.
Websites zur Namenforschung
Die Herkunft unserer heutigen Nachnamen lässt sich dabei vier großen Gruppen zuordnen. Die erste Gruppe bilden alte Vornamen wie Walter, die sich - teils in veränderter Form - als Nachnamen durchgesetzt haben. Auch sein eigener Nachname geht auf einen alten Vornamen zurück, erklärt der Namensforscher: Udolph stamme von Odwolf ab, einem sehr alten germanischen Namen. Die zweite Gruppe der Nachnamen sind von Berufen abgeleitet. "Auch die häufigsten Namen wie Müller und Schmidt gehören dazu", erklärt Professor Udolph.
Nachnamen der dritten Gruppe beziehen sich auf die Herkunft einer Person: Herr Merseburg aus der Stadt Merseburg im südlichen Sachsen-Anhalt zum Beispiel oder Frau Westphal aus dem heutigen Westfalen. Zu der dritten Gruppe gehören aber auch Örtlichkeiten: Familie Brückner beispielsweise kommt von einer Brücke, Familie Eichler wohnte an einer Eiche, so Udolph.
"Die spannendste Gruppe"
Gruppe vier der Nachnamen ist für Udolph "die spannendste Gruppe": Sie bezieht sich auf Eigenschaften einer Person, die sogenannten Übernamen. Diese sagen etwas über eine Person aus. Hier leiten sich die Nachnamen zum Beispiel von körperlichen Merkmalen ab: Typische Beispiele sind Großkreu(t)z, Kraus(e) oder Klein.
Aber auch Gewohnheiten sind zu Nachnamen geworden: Frau Baldauf steht früh auf, Herr Bierfreund ist selbsterklärend. Tiere sind Ursprung für Nachnamen wie Hase oder Falke. Auch Nachnamen wie Pfefferkorn oder Kürbis - aus der Kategorie Pflanzen - sind in Deutschland als Familiennamen vertreten, so Udolph. Kleidung, im Fall von Familie Kittel, oder Rohstoffe, zum Beispiel bei Familie Demant - von Diamant - fungieren ebenfalls als Namensgeber. Die Gruppe lässt sich entsprechend fortführen.
Belege für die Entstehung der Nachnamen reichen bis in das 12. Jahrhundert zurück. Eine zentrale Rolle spielen alte Kirchenbücher, in denen die Rede von "Karl, genannt der Schmied" ist. "So wurde gekennzeichnet: Ich meine eben den Karl, der Schmied ist", so Udolph. Diese Zusätze wurden später zu Familiennamen.
Unsere Nachnamen sind also mehr als bloße Zuordnungen - sie sind "Zeugen der Geschichte", betont Professor Udolph. "Es gibt nichts Spannenderes als Namen", findet er. Schließlich steckt hinter jedem Nachnamen ein Stück deutscher Historie, die es wert ist, entdeckt zu werden.
Übrigens: Andere Länder sind bei der Nachnamensgebung weitaus kreativer als die Deutschen. In Finnland zum Beispiel ist es möglich, dass Paare bei der Hochzeit aus Teilen der jeweiligen Geburtsnamen einen neuen, gemeinsamen Nachnamen zusammenbasteln. Zu den weltweit häufigsten Nachnamen zählen "Li" und "Wang", die besonders in China verbreitet sind.
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